Eindrücke aus der Projektreise in Kolumbien

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Jugendliche der «Golden Family» führen ein Strassentheater zum Thema «Gewalt gegen Frauen» auf.

Paza la Paz – Durch Kunst lebensverändernde Entwicklungen anstossen

Mit einer Fülle von neuen Eindrücken, Erfahrungen und Begegnungen kehrte ich Mitte Oktober aus einer dreiwöchigen Projektreise in Kolumbien zurück. Während meines Projektbesuches wurde mir klar, welche bedeutende Rolle Kunst als Mittel zur Transformation im Horyzon-Projekt Paza la Paz spielt:

Meine Reise startete in der Hauptstadt Bogotá. In Juan Rey, einer abgelegenen Gemeinde auf 2'800 m ü. M. wurde ich von der Golden Family, einer 15-köpfigen Gruppe quirliger Teenager, begrüsst. Auf den ersten Blick wirkten sie wie ganz normale Teenager: Die Jungs neckten die Mädchen und umgekehrt, Coolness ist wichtig und gutes Aussehen auch. Doch dann führte die Golden Family ein Theater auf der Strasse auf, welches nicht nur mich leer schlucken, sondern auch Passanten stehenbleiben liess. Es ging um Gewalt gegen Frauen, häusliche Gewalt, um Femizid und den Staat, welcher nichts dagegen unternimmt.

Die Golden Family ist, wie der Name schon sagt, für viele auch eine Art Ersatzfamilie. Auf der Heimfahrt erfuhr ich von einer Projektmitarbeiterin, dass viele dieser «ganz normalen» Teenager aus zerrütteten Familienverhältnissen kommen und schwere Schicksalsschläge durchmachen mussten. Die Golden Family gibt ihnen deshalb zugleich Halt und eine Perspektive auf ein Leben, welches nicht durch Gewalt, sondern durch ein friedliches Zusammenleben geprägt ist.

Mit ihrem Theater leisten die Jugendlichen von Juan Rey wichtige Aufklärungsarbeit in ihrer Gemeinde. Gemeinsam erheben sie ihre Stimme und bringen den feministischen Streikruf «ni una menos» in ihre Familien und Communities. Gleichzeitig ist das Theater auch eine Möglichkeit zur Aufarbeitung ihrer persönlichen Traumata in Bezug auf Gewalt.

Am nächsten Tag fuhren wir ins Quartier Santa Fe, der «Zona de tolerancia», also das Rotlichtviertel, wo das Horyzon-Projekt Paza la Paz seit Anfang 2021 präsent ist. Bevor wir in Santa Fe ankamen, wurde ich von den Projektmitarbeiterinnen vorbereitet: Zona de tolerancia bedeute, dass hier alles geduldet werde: Drogenhandel und -konsum, Waffen, Prostitution, Kriminalität, aber auch das Vorhandensein einer wachsenden LGBTQ+ Community und einer grossen venezolanischen Diaspora. In Santa Fe führte mich eine der Jugendlichen des Projekts durch das Viertel und erklärte mir den Kontext. Ich sah Wohnungen, in welchen venezolanische Familien zu zehnt in einem Raum leben, die Strasse für Trans-Prostituierte, und das Revier einer kriminellen Gang. Als wir im YMCA Zentrum antrafen, empfangen mich die Jugendlichen schüchtern und zurückhaltend. Später realisierte ich, dass dies ein natürlicher Schutzreflex ist. Wieso sollte man auch einer fremden Person einfach so vertrauen? Während der darauffolgenden Tanzaufführung tauten die Jugendlichen dann etwas auf.

Durch die Vermischung eines traditionell kolumbianischen und eines venezolanischen Tanzes setzt das Projekt ein Zeichen gegen die aufkeimende Xenophobie gegen venezolanische Migrantinnen und Migranten.

Die Theater-, Tanz- und Rap-Aufführungen, die Graffitis und Wandgemälde lösen in den Jugendlichen vielschichtige Lern- und Entwicklungsprozesse aus. So identifizieren sie gemeinsam ein spezifisches Problem ihrer Community, wie beispielsweise die Gewalt gegen Frauen, Xenophobie oder Drogenprobleme und entwickeln in ihrer Gruppe ein Konzept, wie sie dieses Problem in ihrem Umfeld angehen können. Dies fördert ihre Planungs- und Organisationskompetenzen, ihre Kreativität, ihr Problemlöseverhalten und ihre Identität als Friedensförder*innen.

Im gesamten Prozess werden die Jugendlichen eng von den Projektmitarbeitenden begleitet, welche geschickt Wissensinhalte in die Workshops einfliessen lassen und die Jugendlichen in Kernkompetenzen schulen. Durch diesen Ansatz wird die Kunst für die Jugendlichen zur Ausdrucksform, zur Verarbeitung von Emotionen und Traumata und zum Mittel zur Transformation ihrer Persönlichkeit. Das Ziel ist dabei nicht, die Jugendlichen zu Künstlerinnen und Künstlern auszubilden, sondern durch die Kunst lebensverändernde Entwicklungen anzustossen.

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