Reisebericht Projektbesuch Südsudan

Ein Reisebericht von Mattias Ruchti

Mitte Januar 2020 hat Mattias Ruchti, Programmverantwortlicher Südsudan, gemeinsam mit Andrea Rüegg, Geschäftsleiterin von Horyzon, das neue Horyzon Projekt in Südsudan besucht. Im Reisebericht erzählt er von seinen vielseitigen Eindrücken und dem Aufbau des Programms. 

 

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64 Stämme – 64 Kulturen

Endlich war es soweit. Nach dutzenden Telefonaten auf die Südsudanesische Botschaft in Genf in den Wochen zuvor, hielt ich das Visa für den Aufenthalt im jüngsten Staat der Welt in meiner Hand - zwei Tage vor dem Abflug. Andrea, als Geschäftsleiterin von Horyzon, begleitete mich auf meiner ersten Projektreise als Programmverantwortlicher für unser neues Projekt. Darin lernen Jugendliche in der südsudanesischen Provinz Yambio ihre sexuellen und gesundheitlichen Rechte besser kennen, erhalten Zugang zu Verhütungsmitten und sprechen über sexuelle und geschlechterspezifische Gewalt. Jene Projektaktivitäten, welche mit den Direktbegünstigten stattfinden, werden im Februar dieses Jahres beginnen. Somit war es erst einmal das Ziel dieser Projektreise, die Planung zu finalisieren, Kontakte mit Behördenvertretern zu knüpfen und mit den Betroffenen zu sprechen.

Mit einem Flug über Kairo machten Andrea und ich uns schliesslich auf den Weg nach Juba, in die Hauptstadt des Südsudans. Bereits im Landeanflug wurde einem schlagartig bewusst, was es heisst, auf dem drittletzten Platz des Human Development Index zu sein: Hochhäuser? Fehlanzeige. Holz- und Lehmhütten reihten sich aneinander, nur wenige der Strassen waren geteert und der Flughafen war vollgestellt mit UN-Flugzeugen. Kaum aus dem Flugzeug ausgestiegen, wurden wir umgehend gebeten, unsere Hände zu waschen und man mass unsere Körpertemperatur. Dies diente dazu, allfällige Ebola - Patienten zu identifizieren und entsprechende Massnahmen einzuleiten. Eine Ebola-Epidemie hätte im Südsudan durch die begrenzten medizinischen Ressourcen verherrende Auswirkungen.
Nachdem das einzige Gepäckband des Flughafens endlich meine Tasche rausspuckte und das obligate, kreidene „OK“ des Sicherheitsangestellten eingeholt wurde, ging es bereits raus auf die Strassen Jubas. Dort war einiges los: Menschen überquerten die Strasse nach Belieben, die wenigen Ampeln standen immer auf grün und Hunde, Ziegen und Hühner gingen in den Strassengräben auf Nahrungssuche.

Nach einem herzlichen Empfang durch unsere Partnerorganisation YWCA South Sudan ging es daran, wichtige Details rund um das Projekt zu klären. Im Austausch mit unseren Partnern erfuhren wir enorm viel über Land, Kultur und das Thema Jugendschwangerschaften im Südsudan. So lernten wir, dass es im Südsudan bis zu 64 verschiedene Ethnien gibt und das Land eine der höchsten Quoten weltweit bezüglich Jugendschwangerschaften hat. Dieses Wissen wurde am nächsten Tag weiter vertieft als wir die verschiedenen Projekte des YWCA in Juba besuchen konnten. Wir schauten zuerst bei der YWCA - Beratungsstelle im Juba Teaching Hospital vorbei, wo Patient*innen beim Testen auf HIV psychologisch begleitet werden, und besuchten anschliessend einen Marktstand, welchen „Mama Regina“ dank der finanziellen Unterstützung der economic empowerment Gruppe des YWCA Südsudan mieten konnte. Dieser Marktstand erlaubte es ihr, dank dem Verkauf von Fisch und Zwiebeln, jeden Tag genügend Essen kaufen zu können.

Mama Regina auf dem Markt

Mama Regina auf dem Markt.

Während des Besuches von „Mama Regina“ erweiterten wir dann auch unser Wissen über die Gesetze des Landes. So wurden wir bei einem einstündigen Gespräch in einem brütend heissen, kleinen Büro bestimmt darauf hingewiesen, dass Fotografieren ohne Erlaubnis von Behörden in Juba nicht erlaubt sei – auch dann nicht, wenn man, wie wir, zuvor das Einverständnis der fotografierten Person eingeholt hat. Mit einer Ermahnung im Gepäck durften wir zum Abschluss des Tages noch an einer Sitzung der Gesprächsrunde „Let Girls Talk“ beiwohnen. In dieser diskutieren Mädchen und junge Frauen in regelmässigen Abständen über ihre Probleme, denen sie im Alltag begegnen. Sei es die fehlende Autonomie bei der Partnerwahl, die Geringschätzung aufgrund des Geschlechts oder die Diskriminierung bei der Körperhygiene, in dieser Runde haben die Mädchen die Gelegenheit sich mit Gleichaltrigen auszutauschen und entsprechende Erfahrungen zu verarbeiten. Zwei Stunden später hatten wir sehr viel über das Frauenbild und die untergeordnete Rolle der Frau in den verschiedenen südsudanesischen Stämmen gelernt. Dabei wurde klar, dass jeder Stamm seine eigene Kultur hat und nicht per se von einer südsudanesischen Kultur im Allgemeinen gesprochen werden kann.

In den beiden darauffolgenden Tagen hatten wir dann auch die Gelegenheit auch jene Region kennenzulernen, in welcher das Projekt von YWCA Yambio und Horyzon umgesetzt wird. Yambio ist eine Region im Südwesten des Landes mit rund 40‘000 Einwohnern. Nebst Besuchen bei Behördenvertretern, standen auch Treffen mit Lehrpersonen und jungen Frauen, welche bereits als Teenager Mutter wurden, auf der Agenda. Eindrücklich und teils unter Tränen schilderten uns jene Mütter ihre Geschichten, die oft von häuslicher Gewalt und geflohenen Ehemännern handelten.

Junge Muetter erzaehlen ihre Geschichten

Mütter erzählen ihre Lebensgeschichte

Alle diese Geschichten zeigten: Warum jungen Frauen bereits als Teenager Mütter werden, hat oftmals unterschiedliche, individuelle Gründe. Doch immer spielen Armut, fehlende sexuelle Bildung, sexuelle Gewalt, die Stellung der Frau in der Gesellschaft und das soziale Umfeld eine wichtige Rolle.

Austausch mit Lehrern in Yambio

Austausch mit Lehrpersonen in Yambio

Dass die Bildung der Mädchen teils ungenügend war und auch das soziale Umfeld eine wichtige Rolle bei Jugendschwangerschaften spielt, wurde von den Lehrerinnen und Lehrern im Gespräch bestätigt. So ist zwar das Thema der Familienplanung durchaus im Lehrplan vorhanden, doch leider erst in höheren Stufen, wenn viele der schwangeren Mädchen die Schule bereits verlassen mussten. Bedrückt vom Leid und ermuntert durch unsere motivierte Partnerorganisation und den positiven Gesprächen mit den Behörden, machten wir uns schliesslich wieder auf den Weg nach Juba. Dort konnten wir mit der Vertragsunterzeichnung, dem offiziellen Startschuss, die ersten Schritte unternehmen, damit Jugendlichen in Yambio sich alternative Lebensentwürfe erarbeiten können und junge Frauen soziale und wirtschaftliche Autonomie erlangen.

Schulzimmer in Yambio

Ein Schulzimmer in Yambio

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